Vor kurzem kontaktierte mich ein Sportler, da er plötzlich bei einem Triathlonwettkampf nach der Hälfte der Schwimmstrecke Panikattacken, Atemnot und schaumig-blutigen Auswurf bekam und den Wettkampf sofort abbrechen musste.
Bei der unmittelbar darauf folgenden Untersuchung im Krankenhaus wurde ein leichtes Lungenödem sowie wenige dezente Veränderungen im Blutbild festgestellt. Allerdings konnte bei dem an sich gesunden und infektfreien Sportler – obwohl sämtliche zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten genutzt wurden – keine Ursache dafür gefunden werden.
Nicht nur die behandelnden Ärzte waren ratlos, sondern natürlich auch der Sportler selbst massiv verunsichert.
Aus diesem Grund fragte er bei mir an, ob ich eventuell eine Idee hätte, was die Ursache für diese erstmalig und unvorhergesehene Symptomatik sein könnte und ob er mit der Unsicherheit im Hinterkopf, dass diese Beschwerden eventuell jederzeit wieder auftreten könnten, weiterhin ungehindert Sport mit maximaler Belastung machen könne.
In diesem Fall kommt mir einmal mehr zugute, dass ich regelmäßig Fachartikel und Zeitschriften lese und u.a. erst neulich wieder einen sehr interessanten Fachartikel der Universitätsklinik Bern gelesen habe, in dem von der SIPE-Erkrankung (Swimming Induced Pulmonary Oedema), einer seltenen Form eines Lungenödems, das vor allem bei Schwimmern und Tauchern plötzlich auftreten kann, bei einem Triathleten berichtet wurde.
Die Symptome, Blutbildveränderungen und das leichte Lungenödem glichen bei meinem Patienten genau denen des Sportlers in besagtem Fachartikel und mir war klar, dass es sich nur um das SIPE handeln kann, ein Verdacht, der im weiteren Verlauf auch von einem Lungenfacharzt und Tauchmediziner bestätigt wurde.
Da ich seither immer wieder Nachfragen vor allem von verunsicherten Triathleten und Schwimmern hinsichtlich des SIPE bekomme, hier eine kurze Erklärung, wie es zu diesem Beschwerdebild kommt:
Das SIPE ist ein anstrengungsinduziertes Lungenödem, das plötzlich – bei an sich vollkommen gesunden Tauchern und Schwimmern – auftreten kann. Als Ursache dafür wird ein Fehler in der Blut-Gas-Schranke in der Lunge angenommen.
Die Blut-Gas-Schranke hat im Normalfall zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen:
1.) Sie muss so dünn wie möglich sein, um einen optimalen Gasaustausch in der Lunge zu ermöglichen.
2.) Sie muss so strapazierfähig sein, dass sie auch erhöhtem mechanischen Stress (beispielsweise bei intensiver sportlicher Belastung) standhält.
Eine übermäßige Belastung kann allerdings zu einem mechanischen Versagen dieser Blut-Gas-Schranke führen, was zu einem Übertritt vor allem von Erythrozyten und Flüssigkeit in die Alveolen (= Lungenbläschen) der Lunge und schließlich zu einem Lungenödem führt.
Dieser Vorgang kann bei maximaler körperlicher Belastung bereits nach wenigen Minuten auftreten. Zusätzlich kann unter anderem eine kalte Wassertemperatur (< 20°), eine Hyperhydration des Sportlers oder auch ein Anstiegs des Drucks im Brustkorb, der beim Schwimmen, vor allem mit dem Kopf über Wasser, durch eine Umverteilung des Blutes von der Peripherie in den Brustbereich erfolgt, das Auftreten eines SIPE fördern.
Typisch für das SIPE ist das plötzliche Auftreten von Atemnot während oder kurz nach dem Schwimmen (ohne das Wasser geschluckt wurde oder bereits vorbestehend ein Infekt oder eine Erkrankung der Atemwege bekannt war) mit verminderter Sauerstoffsättigung des Blutes, Husten mit schaumig, teilweise sogar etwas blutigem Auswurf, dezenten lungenödemartigen Veränderungen im Lungenröntgen sowie typischen dezenten Blutbildveränderungen mit Leukozytose (= eine Erhöhung der Anzahl der weißen Blutkörperchen), Lymphopenie (= verminderte Anzahl vom Lymphozyten) und minimal erhöhtem CRP-Wert (= Entzündungswert).
Das SIPE ist selbstlimitierend und verschwindet nach Beendigung der Belastung innerhalb von 48 Stunden.
Sportlern ist anzuraten, beim Auftreten von Atemnot und schaumig-blutigem Auswurf beim Schwimmen sofort die körperliche Belastung einzustellen, das Wasser zu verlassen und sich in medizinische Versorgung zu begeben.
Die Therapie erfolgt mittels Sauerstoffgabe und einem ß2-Sympathomimetikum Spray (= Bronchospasmolytikum, das die glatte Muskulatur in den Bronchien relaxiert und die Bronchien erweitert). Diuretika (= entwässernde Medikamente) haben bei dieser Sonderform des Lungenödems keine Wirkung und sind aufgrund des ursächlichen Mechanismus beim SIPE nicht sinnvoll.
Angst vor Folgeschäden beim SIPE muss der Athlet an sich nicht haben, da weder strukturelle noch funktionelle Folgeschäden beim SIPE verbleiben. Allerdings kann ein Wiederauftreten bei neuerlicher sportlicher maximaler Belastung nicht ausgeschlossen werden, was vielfach zu einer Verunsicherung des Sportlers und damit zu einer Leistungsbeeinträchtigung führen kann.
Ich empfehle deshalb – nach gründlicher medizinischer Abklärung versteht sich – bei Wiederaufnahme des Sports nach dem Abklingen eines SIPE, beim darauf folgenden erstmaligen neuerlichen Schwimmen zumindest zu zweit Schwimmen zu gehen und die Belastung beim Schwimmen langsam wieder an die maximale Intensität zu steigern, um auch wieder Vertrauen in sich und seinen Körper zu bekommen.
Allein schon das Wissen über die Hintergründe und dem weiteren Vorgehen beim eventuellen Wiederauftreten eines SIPE sollten dem Sportler allerdings im Normalfall ausreichend Sicherheit geben, um weiterhin seinen Sport mit unverminderter Belastung und Intensität ausüben zu können.
Euer Doc Tom