Auf meinem Weg weltweit alle Marathonbewerbe der World Marathon Majors (WMM) Serie zu absolvieren (New York, Berlin, Chicago, Tokyo, London und Boston) stand für mich nach dem wahrlich sensationellen und vom Lauferlebnis eigentlich unübertreffbaren New York Marathon letztes Jahr diesmal der 41. Berlin Marathon am Programm.
Gemeinsam mit zwei (Wolfgang und Peter) meiner drei „WMM-Laufkollegen“, die auch letztes Jahr in NY mit mir am Start waren, wollten wir wieder gemeinsam ein tolles Event erleben und ich stellte mich auch wieder als Pacemaker für eine Sub4-Zeit zur Verfügung. Da die Vorbereitung bei meinen Kollegen aus diversen Gründen allerdings nicht ganz nach Wunsch verlief und das gemeinsam gesteckte Ziel Berlin unter 4 Stunden zu laufen für meine Kollegen unrealistisch wurde, beschloss ich – in Absprache mit den Beiden – diesmal mein eigenes Rennen zu laufen, mit dem Ziel einer neuen persönlichen Marathon-Bestzeit.
Vor allem mein Ergebnis beim Halbmarathon in der Wachau vor zwei Wochen – zu dem ich mich kurzfristig entschloss, da ich ja wetterbedingt beim Ironman 70.3 in Zell am See nicht an den Start ging – ließ mich ganz optimistisch auf dieses Vorhaben blicken. Allerdings hatte ich auch im Hinterkopf, dass mein Trainings-Fokus dieses Jahr, eben auf die Halbdistanz, nicht unbedingt ideal für den Marathon bzw. eine Top-Zeit sein würde. Die langen Läufe in den letzten drei Wochen vor Berlin passten jedoch ganz gut – auch wenn die Beine nach dem Halbmarathon in der Wachau doch deutlich müde waren.
So machten wir uns schließlich Freitag früh auf den Weg nach Berlin.
Berlin empfing uns mit kühlem, herbstlichen Wetter inklusive Nebel und Nieselregen. Für den Renntag wurden jedoch Sonne und spätsommerliche Temperaturen prognostiziert.
Nachdem wir direkt vom Flughafen weg eine dreistündige Sightseeing Tour mit dem Taxi durch Berlin gemacht hatten (und dabei sehr viele historische Insider-Informationen zu Gebäuden und Plätzen von unserem Taxifahrer bekamen, die auch für mich neu waren, obwohl ich doch schon einige Male in Berlin war), checkten wir in unserem Hotel am Alexanderplatz ein, so wie viele weitere internationale „Marathonis“. Das komplette Kontrastprogramm zur derzeitigen Oktoberfeststimmung der einheimischen Berliner Bevölkerung auf und um den Alexanderplatz (hier dachte ich zwischenzeitlich schon, ich wäre irrtümlich in München auf der „Wiesn“ gelandet 😉 ): Dirndln, Lederhosen, Weisswürste, Stelzen(geruch) und jede Menge Bier und lautstarker Schunkelgesang.
Kaum im Hotel eingecheckt sowie nach einer kurzen Stärkung, fuhren wir mit der U-Bahn zur Startnummernabholung und EXPO auf dem stillgelegten Flughafen „Berlin Tempelhof“.
Dort angekommen wurden in mir die Erinnerungen über die endlosen Kilometer auf den Landebahnen des Flughafens beim Ironman 70.3 in Berlin 2013 wach und ich freute mich sehr, den Flughafen diesmal von einer anderen Seite kennenlernen zu dürfen. Ein historisches Gebäude, wurde hier doch die gesamte Versorgung von West-Berlin nach dem 2. Weltkrieg über den Luftweg durchgeführt, wovon noch einige stillgelegte „Rosinen-Bomber“ auf dem Vorfeld des Flughafen zeugen.
Etwas mühsam gestaltete sich der Weg zur Startnummernabholung dann allerdings am Flughafengelände selbst, da die Registrierung von der Organisation ganz an das hinterste Ende aller Hangarhallen gesetzt wurde und man sich mühsam den Weg dorthin über eher schmale Pfade durch die gesamte EXPO bahnen musste, die wirklich ihresgleichen sucht. Sov iele Aussteller waren damals nicht einmal auf der EXPO in New York (3!! gesamte riesige Hangar-Hallen voll mit Unternehmen und Laufsportprodukten bis ins letzte Eck).
Endlich an der Registrierung angekommen gestaltete sich diese erfreulicherweise völlig unkompliziert und schnell.
Keine fünf Minuten und ich hatte meine Startunterlagen „ausgefasst“ – perfekte Organisation!
Im Anschluss spazierten wir noch gemütlich über die gesamte EXPO, bevor wir uns auf den Weg Richtung Berlin Kreuzberg zum Abendessen machten.
Besuch am ASICS-Stand – das Motto für den Renntag war für mich klar: „RUN FAST“!
Gemeinsam mit Wolfgang und Peter sowie einem lieben Kollegen von Vera und mir aus dem „Functional Training“-Bereich, genossen wir die Köstlichkeiten im „Good Morning Vietnam“ in der Bergmannstrasse (wir haben über dieses wirklich empfehlenswerte vietnamnesische Lokal bereits in unserem Bericht über den Ironman 70.3 in Berlin berichtet).
Auch diesmal wurden wir nicht enttäuscht und die Auswahl bei all den fantastischen Speisen fiel schwer – ein echter Gaumenschmaus 🙂 .
Unter anderem gab es für mich California Rolls mit Thunfisch und Avocado
Zurück im Hotel hieß es gleich ab ins Bett, schliesslich wollte ich optimal ausgeruht und fit für den Renntag am Sonntag sein.
Den gesamten Samstag nutzte ich dann vor allem zum Erholen und „Füsse hochlegen“.
Schliesslich war ja morgen Renntag 😉
Einlaufen am Nachmittag (welches mich sehr optimistisch stimmte) und Carboloading standen am Programm.
Nudeln, Reis, Kartoffeln, Huhn, frisches Gemüse und Tomatensauce – ALL IN ONE 😉
Beim gemeinsamen Abendessen wurden auch nochmal die Strategien besprochen und festgelegt und für mich war klar: ich wollte versuchen so nah wie möglich an die 3h-Marke heranzulaufen, zumindest jedoch deutlich unter 3h10min.
Auch meine Wettkampfutensilien legte ich am Abend für den morgigen Wettkampftag bereit
Sonntag früh um kurz nach 5 Uhr läutete der Wecker und nach meinem obligatorischen Wettkampffrühstück machten wir uns zu Fuss auf den Weg zum Start. Insgesamt knapp 3,5km, die wir zum Munterwerden nutzten.
Das Brandenburger Tor erwartete uns bereits und es schien, als ob der Wetterbericht recht behalten sollte – es sah nach perfektem Marathonwetter aus.
Kurz vor dem Betreten des Startbereichs nochmals das Brandenburger Tor (kurz vor Sonnenaufgang) im Visier: Hier würde es also für mich in wenigen Stunden durchgehen (wie sehr der Begriff „Gehen“ für mich an diesem Tag noch Bedeutung bekommen sollte, ahnte ich allerdings zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht)
Trotz der riesigen Menschenmassen, die Richtung Marathongelände strömten kam es Dank der perfekten Organisation und den unzähligen Hinweisschildern zu keinerlei Gedränge oder Verzögerungen.
Eingecheckt in den Startbereich zwischen Reichstag und Kanzleramt ging die Morgensonne auf – ein wahrlich beeindruckender Augenblick für mich, der die gesamte Szenerie in ein tolles Ambiente verwandelte.
Über 40.000 Marathonis bevölkerten den Startbereich und trotz der Massen funktionierte alles unkompliziert und perfekt. Eine organisatorische Meisterleistung, vor der ich gerne meinen Hut ziehe.
Nachdem ich meine Wechselbekleidung am mir zugeordneten Zeltbereich abgegeben hatte, machten wir uns auf den Weg zum eigentlichen Startbereich, wo ich mich am Eingang zu den unterschiedlichen Startkorridoren von meinen beiden Kollegen verabschiedete.
Noch entspannt im Startbereich
Auf dem Weg zu den Startblöcken
Vor den Startblöcken noch ein letztes gemeinsames Foto, bevor sich unsere Wege trennten
Die Startblöcke waren nach Bestzeiten geordnet und zugeteilt und ich fand meinen Platz im Block D (3:00 – 3:15). Davor absolvierte ich noch ein kurzes Aufwärmprogramm, bevor ich mich zehn Minuten vor dem Startschuss absolut stressfrei in meinen Startblock stellen konnte.
Ich fand einen perfekten Platz direkt hinter den letzten Startreihen von Block C und ich nahm mir vor, dass ich versuchen wollte solange wie möglich an den LäuferInnen dieses Blocks dranzubleiben.
Der Start erfolgte in insgesamt drei Wellen mit jeweils 12 Minuten Abstand, wobei ich mit meinem Startblock in der ersten Welle positioniert war.
Pünktlich um 8.45 Uhr ging es dann los durch die Strassen von Berlin vorbei an unzähligen historischen Bauten, Plätzen und die verschiedensten Stadtviertel.
Beeindruckend war für mich aber vor allem die gigantische und begeisterte Zuschauermenge auf jedem Meter entlang der Marathonstrecke.
Vorab hatten mir viele gesagt, dass ich mir niemals mehr so eine Stimmung und Begeisterung bei einem Marathon wie dem in NY erwarten dürfte. Berlin konnte in diesem Jahr allerdings eindeutig mit der Begeisterung beim NY Marathon mithalten. Überall Bands und Musik, Trommler und begeisterte Zuseher, die alle anfeuerten als ob sie jede/n LäuferIn persönlich kennen würden. Kein Meter ohne mitreissender Stimmung und aufmunternder Worte und Zurufe. Wahrlich ein gewaltiges Erlebnis als teilnehmender SportlerIn!
Ich versuchte, so gut wie nur irgendwie möglich von Beginn an eine konstante Pace von 4:20 – 4:25 min/km zu laufen, was rechnerisch für meine geplante Endzeit von unter 3:10.00 deutlich reichen sollte. Allerdings bemerkte ich bereits auf den ersten 10 Kilometern, dass heute nicht mein bester Lauftag war: die Beine fühlten sich nicht ganz so frisch an wie sonst und auch mein Gesäßmuskel machte sich bereits unangenehm bemerkbar (so ganz hatte er anscheinend die Belastungen des Halbmarathons noch nicht verkraftet).Ich machte mir jedoch keine grossen Gedanken darüber und versuchte die zunehmenden Schmerzen in der rechten Gesäßhälfte zu ignorieren.
Nach etwas mehr als 1h33min passierte ich die Halbmarathondistanz und war darauf fokussiert auch den zweiten Teil in ungefähr dieser Zeit zu laufen – bis dahin lief soweit alles nach Plan.
Leider war ab Kilometer 26 damit Schluss und die wahre Challenge an diesem Tag für mich begann: Innerhalb kürzester Zeit verhärtete sich mein rechter Gesässmuskel dermaßen, dass ich auf den folgenden Kilometern mit dem rechten Fuss keinen effizienten Abdruck mehr auf den Asphalt bekam. Ab Kilometer 30 zogen die Schmerzen (dank des Muskeldrucks auf den rechten Ischiasnerv) dann dermassen ins gesamte rechte Bein, dass nur mehr ein suboptimales linksseitiges „Humpellaufen“ möglich war. Und es lagen noch 12km vor mir.
Ich versuchte durch Gehen und dabei durch das Bearbeiten der lokalen Triggerpunkte am Gesässmuskel die Verhärtungen soweit zu lösen, dass ein halbwegs akzeptables Laufen wieder möglich war, was allerdings leider immer nur für sehr kurze Zeit funktionierte. So begann ich mit einem für mich frustrierenden abwechselnden „Gehen-Laufen“ und meine Kilometerzeiten purzelten ins Bodenlose. Frustriert musste ich meine Zielplanung aufgeben und auch die 3:15.00 Grenze schien zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich gefährdet.
Zwischenzeitlich wurde uns allen, die noch auf der Strecke unterwegs waren, mitgeteilt, dass wir ein Teil des schnellsten Rennens der Marathongeschichte waren und uns auf der neuen Marathon-Weltrekordstrecke befanden: ein sensationeller Weltrekord durch den Kenianer Dennis Kimetto, der als erster Mensch überhaupt die 2:03.00 Marathongrenze unterbot und mit einer Endzeit von unglaublichen 2:02.57 die Ziellinie überquerte (zu diesem Zeitpunkt befand ich mich gerade knapp bei Kilometer 27,5).
Ab Kilometer 38 war dann endgültig das muskuläre Desaster für mich perfekt: Dank meinem linkshumpelnden Laufstils quittierte auch meine linke Wade ihren Dienst und begann sich höllisch zu verkrampfen.
Jetzt stand für mich nur mehr eines fest: ich musste irgendwie ins Ziel kommen.
Kurz gesagt: ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir 4km jemals so endlos lang vorgekommen sind. Ich begann jeden einzelnen Meter herunter zu zählen.
Und endlich war es dann soweit: ich bog auf die Zielgerade ein – die weltweit bekannte Strasse „Unter den Linden“.
Noch knapp 800m bis ins Ziel mit dem imposanten Blick auf das Brandenburger Tor, dem Durchlaufen desselben und danach die letzten 200m zwischen den bis auf den letzten Platz gefüllten Zieltribünen durch über die Ziellinie
Ich hatte es geschafft: 3:23.39 – nicht das was ich geplant und erwartet hatte, aber an diesem Tag wirklich hart und schmerzhaft erkämpft. Es gibt eben auch im Sport gute und weniger optimale Tage und manchmal läuft es leider nicht nach Plan.
Das Wichtigste für mich an diesem Tag war ins Ziel gekommen zu sein und auch meine beiden Kollegen erreichten nach knapp 4h20min zufrieden und gesund das Ziel.
Auch im Zielbereich war alles nahezu perfekt organisiert, gut beschildert und leicht aufzufinden – und überall unzählige helfende Hände freiwilliger Helfer. An dieser Stelle einen grossen Dank an all die Freiwilligen, die ein solches gigantisches Event erst möglich und erfolgreich machen.
Nach einer kurzen Erholungsphase versuchte ich dann vom Zielgelände aus zu Fuss zurück ins Hotel zu gehen, was sich jedoch aufgrund meiner muskulären Situation (die sich, nachdem sich mein Adrenalinüberschuss im Zielbereich „verabschiedet“ hatte, sich nun noch intensiver bemerkbar machte, weshalb an ein normales Gehen nicht zu denken war) als äusserst schwierig erwies.
Mein „Schneckentempo“ beim Gehen und die Aussicht auf einen entweder unendlich langen Heimweg oder die zu diesem Zeitpunkt für mich unüberwindbar erscheinenden zahlreichen Stiegen und unterirdischen weitläufigen Gänge der U-Bahn-Stationen, bewogen mich zu der Entscheidung, den Heimweg mit einem alternativen Transportmittel zu absolvieren:
Mit einem Berliner Fahrrad Tuktuk ging es zurück ins Hotel
Im Hotelzimmer betrieb ich dann erst einmal ausführliche Muskelhygiene und wartete auf die Rückkehr meiner beiden Laufkollegen, bevor es nach einer Erholungsphase mit meinen Laufkollegen zum Abendessen in ein nahegelegens Steakrestaurant ging um unser erfolgreiches Finishen und die erfolgreiche Absolvierung unseres zweiten WMM-Rennens zu feiern sowie das Rennen und Erlebte gemeinsam Revue passieren zu lassen.
Danach gab es nur mehr eins: Schlafen 😉
Ich freue mich nun auf 6 Wochen Regeneration, um danach hoffentlich wieder topfit und erholt mit den Planungen, Vorbereitungen und dem Training für die Saison 2015 zu starten.
Fazit: Der Berlin Marathon 2014 war absolut top, sehr gut organisiert, ein gewaltiges Erlebnis mit begeisterten Zuschauern und einer beeindruckenden und schnellen Strecke (wenn auch diesmal leider nicht für mich).
Zu Recht zählt Berlin damit zu den sechs Rennen der „World Marathon Majors“ und ich kann jedem begeisterten LäuferIn, die/der einmal einen Marathon in Europa laufen möchte, einen Start in Berlin nur empfehlen. Es wird auf jeden Fall ein unvergessliches und einzigartiges Erlebnis werden – so wie für mich!
An dieser Stelle möchte ich nicht nur allen Finishern sondern vor allem auch allen unseren SportlerInnen, die sich mit uns auf Ihren Start bei diesem Marathon vorbereitet haben, zu ihren tollen Leistungen gratulieren. Wir freuen uns sehr mit Euch!
Doc Tom