Während wir am Wochenende gemütlich beim Wellnessen waren, waren einige unserer Klienten und Athleten bei Bewerben dabei. So auch Andi, Mitglied von unserem LaufSportPraxis Racing Team. Er ging im aufregenden Berlin beim Halbmarathon an den Start. Wie es Andi ergangen ist, lest ihr hier:
„Im Herbst letzten Jahres bekam ich eine Email von meinem Kumpel Sebastian, der aus Berlin kommt und derzeit in Moskau arbeitet. ‚Hast du Lust bei einem der größten und schnellsten Halbmarathons der Welt mitzulaufen? Dann sehen wir uns nächstes Jahr im März in Berlin.‘ Ich war damals mitten in der Off-Season und daher die nächste Saison betreffend noch etwas planlos. Ich musste aber nicht lange überlegen. Denn das war keine Einladung zu einem Genusslauf, das war ein Fehdenhandschuh – mitten ins Gesicht. Ich hob ihn also auf und warf ihn zurück. Postwendend antwortete ich ihm mit meiner Anmeldebestätigung im Anhang: ‚Ich bin dabei! Du kannst dich schon warm anziehen 😉 .‘
Meine Motivation stieg sprunghaft an und ich konnte kaum mehr das Ende der Off-Season erwarten, um mit dem Training zu beginnen. Denn Laufen ist ein ehrlicher Sport – man ist immer nur so schnell, wie man trainiert und sich vorbereitet hat. Es gibt keinen Raum für Interpretationen. Die Wahrheit liegt am Asphalt. So galt es herauszufinden, wem von uns beiden am Renntag die magischen Momente zustehen, die diesen Sport ausmachen. Und es galt, an der Ziellinie dieses großartigen Bewerbs abzurechnen 🙂
Die Latte lag hoch: die persönliche Bestzeit von Sebastian (mit ca. 1:31:00) war in etwa um vier Minuten schneller, als meine schnellste Zeit – auch schon eine Weile her. Ich hatte also keine Zeit zu verlieren und informierte in den nächsten Tagen meine sportlichen Betreuer Vera und Doc Tom über meinen ersten Saisonhöhepunkt 2015. Wir brauchten einen Plan! 🙂
Hätte man in den nächsten Wochen das Training von Sebastian und mir mit einer Videokamera begleitet, so hätte das auch eine leicht abgeänderte Version eines „Rocky IV“-Remakes werden können: nach einer professionellen Leistungsdiagnostik am Laufband zur Festlegung meiner Trainingsbereiche trainierte ich unter der Betreuung von Vera und Doc Tom in unserer gewohnt guten und westlichen Trainingsinfrastruktur. Laufstrecken im Grünen, Schwimmhallen, Fitnesscenter… alles da. Währenddessen krümmte sich Sebastian abends einsam über seine Trainingspläne und feilte an seiner Strategie, lief nachts nach dem Büro bei Dunkelheit und Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt über Moskaus Straßen (derer Luftgüteindex wohl jenseits der Gesundheitsschutz-Grenzwerten liegt) und hackte wahrscheinlich auch Holz in der russischen Tundra, um noch fitter zu werden. Diesmal Seb vs. Andi statt ehemals Rocky vs. Ivan Drago.
Schlussendlich kam alles anders. Während ich bereits Anfang Februar drei Wochen meiner Trainingszeit der heurigen Grippewelle opferte, erwischte es meinen Freund knapp vor dem Bewerb. Wir lösten die Fehde per Skype offiziell auf und ich drückte ihm von nun an fest die Daumen, dass er rechtzeitig auf die Beine kommt. Und das tat er auch. Jedoch kann wohl jeder Läufer nachvollziehen, wie schmerzhaft und verlustreich 2 bis 3 Wochen Trainingsausfall direkt vor einem Bewerb sein können.
So traf ich letzten Freitag auf einen entspannten Seb in Berlin, er hatte natürlich keinen Druck mehr. Währenddessen avancierte ich in den letzten Tagen vom ‚Gegner‘ zum ‚Mann mit Mission‘. Mein neues Ziel war es, die 1:30:00 zu knacken.
Berlin ist für mich eine besondere Stadt. Sie ist in meinen Augen häufig hässlich und gerade das macht sie für mich abermals schön. Verruchte Ecken, Multikulti, moderne Architektur gemischt mit sozialistischer Romantik. Umso toller, wenn jemand der dort aufwuchs, einem die besonderen Orte zeigt und sie mit Geschichten füllt.
Ein besonderer Ort war auch der ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof, wo die Laufmesse und die Startnummernausgabe stattfand. Die Größe und Auswahl der Messe kann es locker mit der VCM-Messe aufnehmen und auch die Organisation der Startnummernausgabe empfand ich um einiges besser und flotter als in Wien. Am Nachmittag fand der Bambini-Lauf auf einer der stillgelegten Landebahnen statt und als wir beim Start zusahen, spürte ich bereits eindeutig die Wettkampfstimmung aufkommen. Ich war bereit 🙂
Um den Körper nach der Taperingwoche zu aktivieren, liefen wir uns am Nachmittag in den Wäldern an der Spree ein – wunderschöne Gegenden und endlose Strecken, wo auch einem Läufer nicht so schnell langweilig wird.
Am Sonntag standen wir rechtzeitig auf der Karl-Marx-Alle in der Nähe des Fernsehturms mit 33.000 Mitläufern beim Start. Es herrschte trotz starker Bewölkung und Windböen bei 8 Grad gute Stimmung im Startbereich und es war unser Glück, dass der Start um einige Minuten verschoben wurde, da wir bestimmt 15 Minuten in der Schlange standen, um zu unserem Startblock zu kommen.
Endlich war es soweit. Die bekannte Startmelodie des Berlin Halbmarathons ertönte und ich musste nicht auf meine Uhr schauen um festzustellen, wie rasant meine Herzfrequenz stieg. Es ging los – mein Rekordversuch konnte beginnen 🙂
Einen Lauf in einer Großstadt finde ich immer ganz toll. Aber ein Lauf durch Berlin ist einfach nur großartig. Wir liefen am Berliner Dom vorbei und durch das Brandenburger Tor. Von der Siegessäule zum Schloß Charlottenburg. Und wir passierten die Gedächtniskirche, den Potsdamer Platz, den Checkpoint Charlie und das Rote Rathaus, ehe wir wieder am Fernsehturm vorbei ins Ziel liefen.
Von all den Sehenswürdigkeiten umgeben verging die Zeit wie im Flug. Das lag nicht zuletzt auch daran, dass ich es zu schnell anlief. Persönliche Bestzeit bei Km 5. Auch bei Km 10 war ich sehr nahe dran. Ich adjustierte, war aber immer noch zu schnell. ‚Was ich habe, das habe ich‘, dachte ich mir schließlich und versuchte nach Gefühl konstant weiterzulaufen.
Ich schaffte es weitgehend an der markierten Ideallinie zu laufen, doch nachträglich bin ich mir nicht ganz sicher, ob das tatsächlich der kürzeste Weg war. Während meine GPS-Uhr einen Km nach der anderen meldete, lagen die Km-Markierungen am Streckenrand von Mal zu Mal immer weiter Weg. Mir dämmerte, dass meine geplante Durchschnittspace von 4:15/Km nicht ausreichen wird, denn wenn ich so weiterlaufen würde, würden bei 1:30:00 noch mindestens 200 Meter vor mir bis zum Ziel liegen.
Bei Km 17 kam der Einbruch. Das zu hohe anfängliche Tempo forderte nun seinen Tribut. Ich versuchte angestrengt im Kopf zu rechnen, wie schnell ich die letzten 4 Km laufen muss, um doch noch rechtzeitig anzukommen. Ich dachte dabei an Astronauten und Jet-Piloten, die bei ihrer Ausbildung während hohen körperlichen Anstrengungen komplexe Rechenaufgaben lösen müssen.
Ich wäre ein guter Astronaut. Ich brauchte einen Schnitt von 4:11 Min/Km auf den letzten Kilometern.
Ich gab alles, doch die Strecke hatte noch einiges für mich parat. Durch ein paar leichten Anstiege und einigen Windböen erschien mir die notwendige Pace kaum mehr bewältigbar. Ich gab alles und mein Kreislauf tobte. Mein Brustgurt begann zu rutschen und ich ließ ihn rutschen. Ist eh besser, wenn ich nicht weiß, dass ich es mit dieser Herzfrequenz nicht bis zum Ziel schaffe, dachte ich bei mir.
Ein letzter Blick auf die Uhr – dort standen bereits 1:29. ‚Wieso gibt es auf dieser Uhr keine Sekundenanzeige?!?‘. Noch 100 Meter bis zur letzten Kurve. Mist, von dort nochmal mindestens 200 bis zum Ziel. Mein Herzschlag hämmerte im Kopf, die Menschen schrien am Rand, die Läuferin vor mir keuchte Laut bei jedem Atemzug – die hol ich mir noch. Bleib dran, sagte ich mir, komm schon, gib Gas, es kann sich immer noch ausgehen! Ich starrte auf die Zieluhr, Bruttozeit – das hilft mir nicht!! Ich erhöhte noch ein letztes Mal das Tempo und lief über die Zielmatte… drückte meine Uhr ab und versuchte auf den Beinen zu bleiben.
Als die schwarzen Flecken endlich aus meinem Blickfeld wichen, sah ich auf die Uhr: 21,32 Kilometer. Tempo 3:30 auf den letzten paar hundert Metern. 1:30:00.
Ich dachte daran, wie die meisten als Trost zu mir sagen werden, ‚Ach, die eine Sekunde.‘ Aber so einfach ist das nicht 🙂
Wenn wir uns als Läufer auch einen zeitlichen Ziel setzen, dann möchten wir doch in der richtigen Sekunde nicht auf der falschen Seite der Zielline stehen.
Auf dem Weg zu meinen Kleidersack ließ ich diesen wunderschönen Lauf Revue passieren und sog die Atmosphäre nocheinmal in mich auf. Mein Gewissen flüsterte mir, dass ich alles gegeben hatte, mehr wäre heute zu keinem Zeitpunkt drin gewesen.
Ich dachte an das Glück des Tüchtigen. Ich zog das Handy aus dem Kleidersack und rief die Ergebnisliste auf.
Der Fahrer des Kleidersack-LKWs hielt mich wohl für verrückt: ‚Jawohl, hahaahaaaaaa, 1:29:58!!!!. Schau, da steht 1:29:58!!!!‘ rief ich ihm, mit einem Erdinger in der Hand tanzend, entgegen.
Seb stand plötzlich vor mir, sein Zieleinlauf war gerade mal zwei Minuten später. Dass er die besten genetischen Voraussetzungen für einen Läufer hatte (und er mich ohne krankheitsbedingtem Ausfall wohl ordentlich paniert hätte) wurde mir spätestens dann klar, als auch sein Vater kurze Zeit später neben uns stand und er sich mit seiner Finisher-Zeit im unteren zweistelligen Bereich seiner Altersklasse wieder fand. Wir waren alle gut angekommen, happy und zufrieden!! 🙂
Dieses Wochenende und dieser Halbmarathon werden mir unvergesslich in Erinnerung bleiben. Ich genoss jede Sekunde, die Atmosphäre, die netten Menschen an meiner Seite, es war einfach toll… und ich kann es jeden nur weiterempfehlen mal in Berlin zu laufen. Setzt es auf die Liste 😉
Danke Berlin, und bis zum nächsten Mal – vielleicht mal im Herbst, wenn die Strecke doppelt so lang ist! „Ick freu mir schon auf dich. Hau rein und bis denne!“ 🙂