Nach bald sechs Jahren als Gesundheitsberaterin und Personal Trainerin habe ich mittlerweile wohl so ziemlich jede Ausrede kennengelernt, warum man sich „heute leider nicht“ bewegen kann. Eine Umstellung der Lebensgewohnheiten ist definitiv kein Leichtes, immer wieder mit Rückschlägen verbunden und mit Sicherheit kein Kindergeburtstag. Was für mich dabei in meiner Arbeit außerdem interessant ist, ist das Beobachten der Parallelwelten „Training“ und „Bewegung“: Habe ich einerseits Klienten, denen ich ausdrücklich in ihrem wöchentlichen Trainingsplänen vermerken muss, dass sie ja NICHT mehr trainieren sollen als im Plan vermerkt (meist Triathleten und Läufer, die zusätzlich auch viel Alltagsbewegung machen wie täglich weite Strecken mit dem Rad in die Arbeit fahren), so heißt es für mich bei Gesundheitssportlern und allen, die (wieder) gesünder leben wollen, diese mit allen möglichen Mitteln der Kunst zu mehr Bewegung zu motivieren. Und weil ich dabei schon ziemlich viel Erfahrung habe, dachte ich mir, ich verfasse heute mal einen Blog Artikel, der sich nicht nur mit Training beschäftigt, sondern auch damit, wie man generell mehr Bewegung in seinen Alltag bringen kann, weil es gerade das ist, was wirklich wirklich wichtig ist, wenn man sich unsere heutige Lebensweise einmal näher ansieht.
Denn während ein Training oder Workout einen definierten Beginn der Einheit sowie ein Ende hat, ist Bewegung etwas, das eigentlich immer da ist – oder da sein sollte. Unser Leben lang. Bis zu unserem letzten Atemzug. Jedoch ist das leider in unserer Welt, unserem Alltag und neben all den „wichtigen Dingen“, die wir so zu tun und erledigen haben, komplett in Vergessenheit geraten. Heute ist Bewegung oft eines: Lästig, mühsam, langweilig und/oder zu anstrengend. Deshalb gibt es auch Lifte, Rolltreppen, Autos und alles andere, das wir erfunden haben, damit wir es schlichtweg einfacher haben.
Stimmt, es hat absolut seine Vorteile, Dinge des Alltags zu vereinfachen. Zeit zu sparen. Komisch nur, dass wir die vermeintlich gewonnene Zeit dann damit verbringen, etwas zu tun, was uns nicht stärkt, sondern schwächt. Herumzuhängen, noch mehr herumzusitzen, Fernzusehen, Zucker, den unser Körper gar nicht braucht, weil wir gar nicht erst vorhaben, ihn als Energie zu verwenden, in uns hinein zu stopfen.
Es wundert mich daher nicht, dass heutzutage bereits Schulkinder Rückenschmerzen haben, sich nicht mehr konzentrieren können und teils nicht mal mehr eine Rolle vorwärts möglich ist. Denn auch wenn es viele Eltern nicht hören wollen: Eltern sind Vorbilder. Was sie essen, was sie gut oder schlecht finden, wie sie sich bewegen und auch wie viel sie sich bewegen – all das wird von Kindern sehr genau wahrgenommen und auch imitiert. Mittlerweile weiß man auch, dass es nicht nur die Genetik ist, die ähnliche Körperhaltungen in einer Familie zu verantworten hat. Nein, es ist auch das, was ich als Kind von Klein auf sehe. Bewegungen, Haltungen, Bewegungsmuster, die quasi unterbewusst nachgeahmt werden und einem dann ein Leben lang bleiben.
Ein gutes Beispiel dafür ist das unterschiedliche Aufwachsen von Doc Tom und mir. Während Sport in seiner Familie keine große Rolle spielte, war es bei uns komplett anders, ich war zum Beispiel von klein auf beim Mutter-Kind-Turnen, danach im Turnverein, beim Skifahren, Snowboarden, Tennis, Ballett, Rock ’n Roll, Leichtathletik usw., bin draußen im Hof gelaufen, geklettert, geradelt und gehüpft. Drei Mal dürft ihr raten, wem es heute als Erwachsenen leichter fällt, verschiedenste Bewegungen zu erlernen und auszuführen. Und warum? Weil Bewegungslernen passiert, wenn wir noch jung sind. Wenn nicht, wird es später (sehr) harte Arbeit (die Doc Tom seit Jahren macht 😉 ). Natürlich ist es auch im Erwachsenenalter möglich und absolut sinnvoll, spätestens dann aktiv zu werden, v.a. wenn man sich bewusst ist, WIE entscheidend Bewegung für unsere Gesundheit ist, aber als Kind wäre es um ein vielfaches leichter und einfacher gewesen, gerade was bestimmte Muster an Bewegungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten angeht.
Daher sei ein Vorbild in Sachen Bewegung. Deine Kinder, Neffen, Enkel, Patenkinder oder Nachbarskinder sehen dich. Wenn du selbst Kinder hast, ermögliche ihnen ein frühes Erlernen von verschiedenen Bewegungen und Bewegungsarten. Sie werden es dir ein Leben lang danken! An dieser Stelle ein GROSSES DANKE an meine Eltern, dass sie mich so vielfältig gefördert haben (bis auf Kampfsportenarten, die hätte ich rückblickend wirklich gerne schon früher erlernt 😉 ).
Bewegung ist Leben
Ob man es hören will oder nicht, es ist wie es ist. Auch wenn wir heute lieber sitzen oder liegen. Wenn wir uns nicht mal mehr wundern, dass wir bestimmte Dinge nicht können, sondern andere bestaunen, die an und für sich normale menschenmögliche Dinge schaffen als wären sie die Ausnahme. Wirklich witzig, wie sehr wir unsere Körper und unsere Fähigkeiten oft unterschätzen. Wie wenig wir von uns selbst erwarten. Und wie gut man eigentlich damit überleben kann, von den chronischen Erkrankungen, „die man halt so hat“, mal abgesehen.
Wie heilsam Bewegung ist, sehe ich in meiner Arbeit v.a. in jenen Fällen, die sich bisher nicht viel oder fast gar nicht bewegt haben. Unglaublich, wie viel eine Einheit pro Woche hier bereits ausmachen kann. Und zwar nicht nur was Wohlbefinden und diverse Leistungsfaktoren angeht, sondern auch was messbare medizinische Werte angeht. Wie wirksam muss etwas sein, wenn eine Einheit pro Woche schon so viel ausmacht? Und warum um alles in der Welt merken wir selbst nicht, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir alles, was ein bisschen anstrengend ist, aus unserem Alltag wegrationalisieren – und unsere Gesundheit gleich mit dazu?
Training ist etwas wirklich wunderbares, aber der weitaus größere Teil unseres Lebensalltages sollte Bewegung sein. Denken wir beispielsweise an eine normale Woche. 168 Stunden. Zwei, drei, vier Stunden von dieser Zeit sind eigentlich so gut wie nichts. Also weg mit der Rolltreppe, dem Lift und allem, was uns ein paar Minuten Zeit sparen soll.
Wer Bewegung in seinen Alltag bringen will, der sollte als erstes v.a. mal wieder eines: Viel zu Fuß gehen. Stiegen steigen, früher aus einem Verkehrsmittel aussteigen, zum Kollegen hingehen statt zwei Zimmer weiter anzurufen oder eine Mail zu schreiben. Und v.a.: Aus seinem Bürostuhl aufstehen.
„Das kommt vom Alter“
Es mag in erster Linie als Trost für sich selbst gedacht sein, wenn man bei kleineren und größeren körperlichen Beschwerden feststellt, dass man „halt schon in einem gewissen Alter“ ist. Aus meiner Sicht hemmt es aber auch ganz schön die eigene Initiative, aktiv zu werden. „Ich bin eh schon so alt“ kann kein Grund sein, es hinzunehmen, dass man gefühlt einrostet. Ja, Knochendichte und Muskelmasse und damit auch die eigene Kraft nehmen mit dem Alter langsam ab (und das übrigens ab 30), aber es ist nicht so, dass man nichts dagegen tun könnte. Natürlich kann man auch von seinem Bürostuhl aus zusehen und dann gebrechlich in Pension gehen, aber man könnte auch – wie es für uns Menschen von Natur aus vorgesehen ist – einfach in Bewegung bleiben. Vielleicht ist man irgendwann nicht mehr der Schnellste oder Stärkste, dafür ist man aber schlau, weiß wie man seine Kraft am besten einsetzen kann und kann so dennoch bis ins höhere Alter so gut wie alles machen, was man möchte.
Wo stehst du?
Mal ganz unabhängig vom Alter: Wo stehst du? Wie geht es dir derzeit gesundheitlich? Wie fühlst du dich ingesamt?
Wie oft hast du Rückenschmerzen? Wie geht es deinen Gelenken? Hattest du Operationen oder steht eine OP bevor? Wie geht es deinen Muskeln und Faszien?
Welche Medikamente nimmst du täglich oder regelmäßig ein?
Gibt es Körperteile oder -regionen, die regelmäßig auf sich aufmerksam machen?
Hast du das Gefühl, dass du nicht mehr so beweglich bist wie früher?
Sind vermeintlich einfache Haltungen wie die tiefe Hocke für dich schwierig oder unmöglich?
Wie lang und gut schläfst du?
Wie geht es deiner Verdauung?
Wie viel bewegst du dich im Alltag? Wieviel und wie lang gehst du täglich zu Fuß? Wie viele Stunden sitzt du (sei ehrlich!)?
DU entscheidest
Auch wenn es niemand hören will: Sehr vieles in unserem Leben passiert nicht gerade ohne unsere eigene Beteiligung. Wir haben oft die Wahl, wir entscheiden vieles, selbst wenn es nicht die Aktion, sondern Reaktion auf etwas ist, so haben wir auch hier noch eine Wahl. Eine Station früher aus dem Bus aussteigen, mit dem Auto weiter weg parken oder bequem bis fast vor die Haustür fahren? Unsere Entscheidung. Eine Runde spazieren oder auf der Couch liegen? Unsere Entscheidung. Täglich ein paar Liegestütz und Klimmzüge oder täglich eine halbe Tafel Schokolade? Unsere Entscheidung.
Ich möchte hier nicht schreiben, dass es einfach ist, sich im Sinne der eigenen Gesundheit und des eigenen Wohlbefindens zu entscheiden. Das ist es nicht, gerade wenn man es nicht gewohnt ist. Aber wenn wir ehrlich sind, machen wir es uns oft auch ganz schön leicht, indem wir unsere Willensstärke gar nicht erst anstrengen, sondern lieber gleich drei Ausreden parat haben und uns so unsere Entscheidung schönreden, die unsere Bequemlichkeit maximal unterstützt.
Das kannst du tun – Tipps für mehr Bewegung in deinem Alltag
Egal, ob du bereits regelmäßig trainierst oder nicht, Bewegung ist weit mehr und kann auch nicht durch ein paar Trainingsstunden wöchentlich ersetzt werden. Was also kannst du tun, um deinen Alltag mit mehr Bewegung zu füllen?
1. Geh! Am besten täglich, in der frischen Luft und mit schlendernden Armen, denn Gehen ist eine Pendelbewegung. Schwinge deine Arme locker mit und geh. Die amerikanische Biomechanikerin Katy Bowman empfiehlt dabei eine gemischte Aufteilung wie zB Montag 3km, Dienstag 5km, Mittwoch 12km, Donnerstag 1km usw., sodass man ca. auf 30km pro Woche kommt. Variiere dabei auch mit dem Untergrund und der Steigung (bergauf, bergab). Falls du einmal aus einem wirklich driftigen Grund nicht außer Haus kannst, dann nutze ein Mini Trampolin* und federe, hüpfe sanft, lauf oder schwing darauf und nimm auch dabei die Arme mit.
2. Atme bewusst, zumindest zwei, drei Mal am Tag für jeweils ein paar kontrollierte Atemzüge. Tief ein über die Nase, der Bauch wird groß. Lang aus über die Nase, der Bauchnabel zieht leicht nach Innen. Lass dabei deine Schultern bewusst nach unten sinken, entspanne deine Stirn, deine Wangen, dein Kiefer. Lass locker. Bewusstes Atmen macht dich achtsamer und sorgt dafür, dass du deinen Körper und seine Signale besser wahrnehmen kannst. So merkst du es auch besser, wenn du mal wieder dauerhaft in einer Position eingefroren bist und lernst, deine Haltungen abzuwechseln.
3. Mach täglich Liegestütz und Klimmzüge. Spiele dabei mit verschiedenen Hand- und Griffpositionen. Mach so viele Wiederholungen, wie du schaffst, was täglich unterschiedlich sein kann, aber „do your push and pull ups!“ wie Kampfsportler und Yogi Cameron Shayne zu sagen pflegt. Und falls du irgendwo eine Möglichkeit zum Klettern und entlang hangeln findest, wie es auf Spielplätzen und in Outdoorparks oft der Fall ist, nutze diese spielerisch.
4. Kümmere dich um deine Mobilität und Faszien. Roll dich mit Hilfe einer Faszienrolle und Bällen aus, dehne dich. Halte deine Gelenke beweglich. Und entdecke grundlegende Haltungen wieder, wie beispielsweise die Hocke. Lass deine Fersen dabei am Boden oder arbeite daran, dass du sie irgendwann wieder zum Boden bringst.
Und denk immer daran: Sich bewegen zu können ist ein GESCHENK. Nutze es.